Erkenntnistheorie

  • Titel: Erkenntnistheorie
  • Autor: Uwe
  • Organisation: UNI OSNABRUECK
  • Seitenzahl: 29

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Inhalt

  • Skript zur Vorlesung
  • Uwe Meyer Universität Osnabrück WS
  • Einführung in die Erkenntnistheorie I
  • Dr Uwe Meyer

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Erkenntnistheorie I

Skript zur Vorlesung

Uwe Meyer Universität Osnabrück WS 06/07

Einführung in die Erkenntnistheorie I

Dr. Uwe Meyer

Universität Osnabrück

WS 06/07

Platon (ca. 427-347 v. Chr.): Der Begriff des Wissens – Die Rolle der Vernunft (Rationalismus) – Erkenntnis als Wiedererinnerung – Unsterblichkeit der Seele – Das Höhlengleichnis – Die Ideenlehre Theätet, 200 d – 201 d Menon, 81e-86c Der Staat, 514a-519d Phaidros, 247 c – 249 d Der Philosoph und Mathematiker A.N. Whitehead (1861-1947) meinte, die Philosophiegeschichte der letzten zweieinhalbtausend Jahre bestehe letztlich aus „einer Reihe von Fußnoten zu Platon“.1 Das ist sicherlich ein bisschen übertrieben, aber die Bedeutung, die Platon (lat. Plato) für die Philosophie hat, ist in der Tat immens. Platon wurde ca. 427 v. Chr. als Sohn einer vornehmen Athener Familie geboren, was zunächst eine politische Laufbahn nahe legte. Unter dem Eindruck sehr schwieriger politischer Verhältnisse und vor allem unter dem Einfluss des Sokrates (ca. 470-399), der ab etwa 407 bis 399 sein Lehrer war, wandte er sich jedoch hauptsächlich der Philosophie zu, ohne freilich das politische Engagement ganz aufzugeben. Die über 30 platonischen Werke haben nicht die Form systematischer Abhandlungen. Vielmehr handelt es sich sämtlich um Dialoge, in denen die Gesprächspartner um das richtige Verständnis von Tugend, Politik, Erkenntnis, Seele u.a. ringen. Die Dialogform macht es oft schwierig, zu erkennen, welche Position Platon selbst vertritt. In den meisten dieser Dialoge tritt Sokrates als zentrale Figur auf. Tatsächlich sind die platonischen Dialoge unsere wichtigste Quelle über Sokrates, der selbst keine Schriften hinterlassen hat, sondern sich darauf beschränkte, in den Straßen und auf dem Marktplatz Athens seine Mitbürger, vor allem junge Männer, in philosophische Gespräche zu verwickeln. Im Gegensatz zu den Sophisten, den „Weisen“ oder „Weisheitslehrern“, die ihre Schüler gegen Bezahlung darin unterrichteten, auch schwache Argumente für beliebige Positionen so überzeugend darzustellen, dass sie die Hörer beeindruckten, ging es ihm als Philosophen (griech. „Freund der Weisheit“) weniger darum, beliebige Positionen argumentativ zu untermauern. Vielmehr wollte er überkommene, scheinbar selbstverständliche, aber unbegründete Überzeugungen zunächst erschüttern, um dann zu begründetem Wissen vorzudringen. Dafür wurde er freilich nicht bezahlt, was seine Gattin anthippe verärgerte. Und schlimmer noch: Die Athener klagten ihn, der Überkommenes in Frage stellte, wegen Verführung der Jugend an und verurteilten ihn zum Tode. Er nahm

A.N. Whitehead, Prozeß und Realität. Entwurf einer Kosmologie. Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1979. S. 91 f. (Engl. Original: Process and Reality. An Essay in Cosmology. 1929.)

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Einführung in die Erkenntnistheorie I

Dr. Uwe Meyer

Universität Osnabrück

WS 06/07

das Urteil willig an, nicht zuletzt deshalb, weil er an die Unsterblichkeit der Seele glaubte und den Tod letztlich für etwas Gutes hielt. Über das Ende des Sokrates berichtet Platon in seinem Dialog Phaidon. Dort wird auch ausführlich für die Unsterblichkeit der Seele und das Weiterleben nach dem Tod argumentiert. Einer unserer Textauszüge handelt von genau diesem Thema. Er stammt allerdings nicht aus dem Phaidon, sondern aus dem früheren Dialog Menon, auf den im Phaidon Bezug genommen wird. Das Argument für die Unabhängigkeit der Seele vom Körper ist letztlich erkenntnistheoretischer Natur: es beruht auf dem Konzept der Erkenntnis als „Wiedererinnerung“ (griech. anámnesis). um weck dieser Wiedererinnerung muss man im Prinzip nur seine Vernunft bemühen. Platon bzw. Sokrates wählt hier einen geometrischen Lehrsatz als Beispiel. Das ist kein ufall, denn nicht alle Wahrheiten lassen sich durch Wiedererinnerung mit Hilfe der Vernunft allein erkennen. Dass viele Bäume grüne Blätter haben, manche aber auch rote, das sind z.B. Wahrheiten, die nur auf der Basis von Sinneserfahrungen erkannt werden können. Geometrische und mathematische Sätze, aber auch philosophische Wahrheiten über das Wesen der Tugend oder der Tapferkeit oder auch über die richtige Staatsform lassen sich dagegen unabhängig von Sinneserfahrungen rein durch vernünftige Überlegungen erkennen. Solche Vernunftwahrheiten sind nach Platons Auffassung die einzigen, von denen wir (nach entsprechenden Überlegungen) sicheres Wissen (griech. epistéme) erwerben können: Eine Überzeugung (griech. dóxa), die sich nicht (nur) auf vernünftige Überlegung, sondern insbesondere auf Sinneserfahrungen stützt, könnte sich schließlich immer als falsch erweisen, weil Sinnestäuschungen nie auszuschließen sind. Der höhere Wert, den Platon den Vernunftwahrheiten beimisst, wird in unserem dritten Textauszug deutlich, dem berühmten Höhlengleichnis aus dem Dialog Der Staat. Platon meinte, die Wahrheiten, die man mit der Vernunft allein erkennen kann, seien Wahrheiten über die Welt, wie sie tatsächlich ist, also nicht nur Wahrheiten, die etwa aufgrund von Definitionen bestehen („Alle Junggesellen sind unverheiratet“ ist wahr, weil „Junggeselle“ als „unverheirateter Mann“ definiert ist). Das ist eine Position, die man mit einem gewissen Recht als „Rationalismus“ bezeichnen kann (obwohl dieser Begriff oft eher mit Descartes in Verbindung gebracht wird). Wie ist es aber möglich, dass man allein aus vernünftigen Überlegungen heraus, d.h. ohne Bezug auf Sinneserfahrungen, etwas über die Welt herausfinden kann? Eine Antwort darauf gibt Platons Ideenlehre. Unter einer Idee versteht Platon eine Art „Urbild“ von Dingen in der Wirklichkeit. So ist die Idee des Kreises z.B. ein Urbild aller kreisförmigen Dinge der Welt – dass diese Dinge kreisförmig sind, bedeutet, dass sie an der Idee des Kreises „teilhaben“. Es gilt nun: Einerseits sind die Ideen aus rein vernünftiger Über2