Pädagogik oder Femagogik

  • Titel: Pädagogik oder Femagogik
  • Organisation: FH KOELN
  • Seitenzahl: 8

Skript herunterladen (PDF)

Inhalt

  • Elke Ostbomb-Fischer
  • Pädagogik oder Femagogik
  • Zur Rolle der Philosophen und »großen Pädagogen« bei der heutigen Sozialisation von Mädchen
  • Zusammenfassung
  • Summary
  • Emil oder
  • Frauen
  • Gottgewollt unmündig
  • Bildung schwächt die weiblichen Reize
  • Dem Volke Mütter erziehen
  • Die Tradition wird fortgeführt
  • Die Tradition brechen
  • Literatur
  • Ergänzende Literatur

Vorschau

Elke Ostbomk-Fischer

Pädagogik oder Femagogik

ur Rolle der Philosophen und »großen Pädagogen« bei der heutigen Sozialisation von Mädchen

usammenfassung ahlreiche Untersuchungen weisen in erschreckendem Maße die Benachteiligung und Diskriminierung von Mädchen in der Pädagogik nach. Sollten die entscheidenden Tragpfeiler unserer Kultur und Demokratie, das Recht auf Freiheit und Gleichheit, bis heute für sie leere Worte geblieben sein? Die Schriften der Philosophen und großen Pädagogen haben zu allen eiten Faszination ausgeübt, ihre Entwürfe vom Menschen haben Epochen gestaltet, die Ideen von Gleichheit und Freiheit greifbar gemacht und die Ideale und Wirklichkeiten unserer Kultur geprägt. Insbesondere auf die Erziehungsideen und ihre Verwirklichung haben sie entscheidenden Einfluß ausgeübt; in der Tat haben auch die meisten großen Denker Erziehungsziele und -wege aufgezeigt. Der vorliegende Beitrag untersucht, inwieweit jedoch wirklich der Mensch – oder eigentlich nur der Mann als »eigentlicher Mensch« gemeint war. Wie die Weiblichkeitsentwürfe und die Ideen der Mädchenerziehung und Bildung mit den Idealen menschlicher Freiheit und Gleichheit in Einklang gebracht wurden und nicht zuletzt, wie die Entwicklung sich bis heute für Mädchen in der Pädagogik auswirkt. Die Autorin fordert ein entschiedenes Umdenken in der Pädagogik und stellt einige Grundsätze für eine neu zu entwickelnde Femagogik vor. Summary Numerous studies have proven the continuing existence of discrimination against, and the exposure to inferior treatment of, girls in the field of pedagogics to an abhorrent degree. Is it possible that the pillars of our culture and democracy, the right to freedom and equal opportunities, have remained communicative vehicles devoid of any content? The writings of philosophers and renowned pedagogical teachers have been fascinating readers at all times, their concepts of human existence have formed the basis of epochs of human thought, given rise to the ideas of equality and freedom, and have deeply influenced the ideas and realities of our culture. Especially on the ideations of pedagogics and their practical implementation, they have exerted their influence to a remarkable extent, and it is indeed true that most predominant scholars have profoundly contributed to pedagogics, its objectives and methods. This study has attempted to show to which extent the human being, and actually the male as the “real“ human being, was meant in this context. It has further attempted to show how concepts of femininity and the ideations of female upbringing and education were matched with the ideals of freedom and equality, and, Iast but not least, how this development continues to exert its influence on pedagogics and the female child. The author of this study herewith demands a decisive change in thought patterns with respect to the field of pedagogics and presents some principles for femagogics to be developed anew.

Pädagogik stammt aus dem Griechischen und bedeutet Knabenführung. ugleich verweit der Begriff auf die Wurzeln der gesamten wissenschaftlichen Lehre von Erziehung und Unterricht im antiken Griechenland sowie in der Philosophie allgemein. Die geisteswissenschaftliche Pädagogik – neben der recht jungen, erfahrungswissenschaftlichen – geht auf eine Tradition der Hermeneutik zurück, in der die Schriften der Philosophen studiert, ausgelegt, und widerlegt werden. Die Denktradition beschränkt sich – wie ich mit meiner Analyse aufzeigen möchte – nicht nur in der ehrfürchtigen Bewahrung eines in seiner Bedeutung gewandelten Begriffes. Sie umfasst in ihrer gesamten Geschichte bis in unsere Gegenwart hinein, die Nichtbeachtung, Entwertung, ja, Entwürdigung des weiblichen Kindes und der Frau. Femagogik ist eine lateinisch-griechische Neubildung und von mir frei erfunden. Es ist ein Streitwort, das ich zur Diskussion stellen, mit dem ich die über zwei Jahrtausende alte Missachtung des Mädchens in der pädagogischen Tradition, der Literatur, der Lehre und der Erziehungspraxis anschwärzen möchte. Femagogik bedeutet mehr: Ich meine damit die rückhaltlose Einforderung der Rechte des weiblichen Kindes in seiner Sozialisation, die Förderung, Beachtung, Wertschätzung und Unterstützung zu erhalten, die ein gleichberechtigtes Individuum zur Entfaltung seiner Menschenwürde braucht. insofern bin ich in meinen Ausführungen parteilich, einseitig, selbst betroffen. Emil oder: Über die Erziehung Ich möchte mit einer vertrauten Persönlichkeit der Pädagogik beginnen: Jean Jacques Rousseau (1712 – 1778). Seine Ideen trugen wesentlich zur Demokratieentwicklung bei. Sein Erziehungsroman „Emil oder über die Erziehung“ (1762) beeinflusste die moderne Pädagogik ganz entscheidend. Er forderte leidenschaftlich die freie Entfaltung des kindlichen Gemütes und seines Willens. Eine Einschränkung machte er allerdings bei der Erziehung des Mädchens: „Die ganze Erziehung der Frau muss daher auf die Männer bezogen sein, ihnen gefallen und nützlich sein, ihnen liebens- und achtenswert sein, sie in der Jugend erziehen und im Alter umsorgen, sie beraten, trösten und ihnen das Leben angenehm machen und versüßen, das sind zu allen eiten die Pflichten der Frau, das müssen sie von ihrer Kindheit an lernen“ (Emil. S. 467). Rousseau begründet diese Forderung mit der „Bestimmung“ und „von ihrer Natur her“: „So ist das liebenswürdige Naturell ihres Geschlechts beschaffen, dem Mann nachzugeben oder sogar eine Ungerechtigkeit (…) zu ertragen. (…) die Abhängigkeit ist ein natürlicher ustand der Frauen, und Mädchen fühlen, dass sie zum Gehorchen geschaffen sind“ (ebd. S. 104). Gänzlich scheint der große Pädagoge hingegen der von ihm beschworenen Natur nicht zu vertrauen, zumal er schon gebildeten Frauen, die sich öffentlich artikulieren, begegnete – die er freilich verhöhnt und beschimpft. Er entwirf einen – die Verirrungen berücksichtigenden – eigenen Erziehungsplan für Mädchen. Er fordert, dass das kleine Mädchen von Anfang an häufig bei Spielen unterbrochen wird und Aufträge ausführen muss, damit es lernt: …“fremden als eigenen Interessen zu folgen…so dass aus diesem zur Gewohnheit gewordenen wang die Folgsamkeit entsteht, die die Frauen ihr ganzes Leben lang brauchen“ (ebd. S.400). „Sie muss“, entscheidet der berühmte und verehrte Pädagoge, „frühzeitig lernen, Unrecht zu erdulden und Übergriffe eines Mannes zu ertragen, ohne sich zu beklagen“ (ebd. S. 401). So unbefangen und ohne Scheu begreift Rousseau das, was dem kleinen Mädchen zugefügt wird, selbst als Unrecht und Übergriffe. Von dieser Erkenntnis geht für ihn, den leidenschaftlichen Verfechter der Ideale einer demokratischen Gesellschaft, aber keine Beunruhigung aus. Folgerichtig lehnt er die unnötige Gelehrsamkeit von Mädchen und damit überhaupt Erziehung und Bildung außerhalb des elterlichen Hauses strikt ab. Dem Mädchen fehlen dazu nicht nur – von Natur aus – die geistigen Voraussetzungen, derartige Bildung schadet auch ihrem Liebreiz und lenkt sie von ihrer Bestimmung ab.

Das Frauenbild von Rousseau mag mancherlei Befremden hervorrufen, insbesondere auch darüber, dass fast jede(r) von uns Rousseau kennt und fast niemand diese Seite von ihm. Haben es unsere DozentInnen und Fachbücher vielleicht verschämt verschwiegen, weil Rousseau als extremer Frauenverachter ein schwarzes Schaf in der Geschichte der Philosophie und Pädagogik darstellt? Vielleicht hilft zur Beantwortung dieser Frage die historische Rückbesinnung weiter: beispielsweise auf Platon, mit dem nach Sokrates zumeist die Geschichte der Pädagogik beginnt. Frauen: gemeinsamer Besitz aller Männer Platon (427-347 v.u. .) erkannte, dass durch ein sprachloses Anschauen der Ideen der Mensch Einsicht in das Gute, die Wahrheit und Vollkommenheit erreichen kann. Diesen Weg beschritt er auch, als er Erkenntnisse suchte über die Entstehung von Frauen in der Welt. Er schrieb seine Einsicht nieder in: imaios 44. „Entstehung der Frauen: … Unter den als Männer geborenen gingen die Feiglinge, und die während ihres Lebens Unrecht übten…bei ihrer zweiten Geburt in Frauen über“ Nicht nur ihren Ursprung, auch die Rolle der Frauen beschrieb Platon genau: „Willst du die Tugenden des Weibes (wissen), so ist auch nicht schwer zu beschreiben, dass sie das Hauswesen gut verwalten muss, alles im Hause gut im Stand haltend und dem Mann gehorchend.“ In Platons Idealstaat sollten die Frauen gemeinsamer Besitz aller Männer sein. Die Lehren Platons formten zu seiner eit das Menschenbild – und damit die Erziehung – in der Gesellschaft, und auch heute sind Platon- itate die ierde vieler pädagogischer Texte. Platons bekanntester Schüler war Aristoteles (384-322). Er erkannte Sklavenhaltung und Unterwerfung der Frau als ein Naturgesetz, für dessen Erörterung er eine wissenschaftliche Grundlage schuf. Erstes Buch: …“Das naturgemäß Regierende und Regierte um der Lebenserhaltung willen. Denn was mit dem Verstand vorauszuschauen vermag, ist von Natur das Regierende und Herrschende (und das vermag bei Aristoteles nur der Mann sofern er nicht Sklave ist), was aber mit seinem Körper das Vorgesehene auszuführen vermag, ist das von Natur Regierte und Dienende,…so wird jedes einzelne Werkzeug (gemeint ist die Frau oder der Sklave) am schönsten herauskommen, wenn es nicht vielen Aufgaben, sondern nur einer einzigen dient.“ Und weiter(3)…“Wissenschaft vom Herrenverhältnis, vom ehelichen Verhältnis:…so steht es dem Manne zu, über die Frau und die Kinder zu regieren … denn das Männliche ist von Natur zur Leitung mehr geeignet als das Weibliche. Der Sklave besitzt das planende Vermögen überhaupt nicht, das Weibliche besitzt es zwar, aber ohne Entscheidungskraft …so ist es notwendig, die Kinder und die Frauen im Hinblick auf die Staatsverfassung zu erziehen“(ebd.). Gottgewollt unmündig Auch die Scholastische Lehre folgt Aristoteles, wonach die Frau eine mas occasionatus – ein verunglückter Mann – sei. Das Weib hatte durch seine Schwäche Unzucht und Laster in die Welt gebracht (die Sünde, Genesis) und musste deshalb der männlichen Kontrolle unterworfen werden. (Auch Augustinus hatte dies schon so gelehrt.) Thomas von Aquin schrieb seine Ehelehre, die die im weltlichen Recht verankerte Muntehe, die der Frau keinerlei Rechte ließ und den Mann zu ihrem Vormund erklärte, als gottgewollt befürwortete und stützte. Bildung und Erziehung fand zu jener eit an den Domschulen statt, Mädchen wurden in Frauenklöstern erzogen. Bischöfen und Vertretern oblag die Einstellung und Entlassung der Lehrer. Vornehmlicher Studienstoff waren neben biblischen Texten die Lehren der großen Kirchenmänner, z.B. Augustinus und Thomas von Aquin: »Unterwerfung und Herabsetzung des Weibes sind Folgen der Sünde. Denn zum Weibe wurde nach der Sünde gesagt: Du wirst unter der Gewalt des Mannes sein (Gn, 3. 16) . . . Die eugung des Weibes aber geschieht aufgrund einer Schwäche der wirkenden Kraft, wegen schlechter Verfassung des Stoffes~ (Aquin). Auf diese Höhepunkte der Frauenverachtung folgte der Hexenwahn mit seiner gnadenlosen Folter und