- Titel: Literatur und Literaturtheorie
- Autor: duk
- Organisation: AC
- Seitenzahl: 5
Inhalt
- Literatur und Literaturtheorie
- Was ist Literatur
- Was ist Literaturtheorie
Vorschau
Literatur und Literaturtheorie
Wolfgang Müller-Funk
1. Was ist Literatur?
Etymologisch: Littera: Buchstabe; Litterae: Wissenschaften; verwandt: Letter: Buchstabe 1571: Literatur/Gschrifft, Kunst der Gschrifft, „grschiftgelerte Weiß und Kunst“; Im 18. Jhd. Wissenschaft und Gelehrsamkeit. Seit 1780 Einschränkung auf dichterische Erzeugung 1785 Allgemeine Literatur eitung, 1842 erstmals der Begriff Literaturwissenschaft. Was Literatur und was keine Literatur ist, unterliegt historischem Wandel und der jeweiligen Definitionsmacht. Der klassische Begriff der Literatur, wie er im 18. und 19. Jahrhundert entstanden ist, zeichnet sich durch Engführung und Ausgrenzung aus. • Literatur = alles Geschriebene, Gedruckte, schriftlich Digitalisierte: schließt alles Gesprochene aus. • Literatur = ist nur Geschriebenes; schließt alle Texte aus, die mit anderen Künsten und Medien verschaltet sind: a.) Liedertexte, Opernarien, Popsongs, Oratorien. b.) Kommentare zu Bildern, Bildtitel, Comics. c.) Filmdrehbücher • Literatur = Poesie und Dichtung, Welt der fiktionalen Texte; schließt alle geschriebenen Texte aus, die a.) wissenschaftlich sind. b.) die praktische Gebrauchstexte sind. c.) alle Texte mit dem Anspruch einer eindeutigen >faktischen< Referenz (Dokumentation, Biographie, Autobiographie, Essay, Brief etc.). • Literatur = hohe wertvolle Literatur, Literatur des Kanons; schließt alle Texte aus, die nicht Teil des Kanons sind, Texte der Populär- und Trivialkultur, Graffiti Aus einer kulturwissenschaftlichen Perspektive läßt sich sagen, daß es Kulturen mit und ohne Literatur gibt. Kulturen mit Literatur sind die Ausnahme. In den antiken Kulturen bildet die geschriebene und poetisch formatierte Sprache die Ausnahme, nicht die Regel. In den Kulturen mit Literatur i. e. S. (im Medium Schrift verfasste bzw. festgehaltene Dichtung und Poesie) bildet diese ein >Medium< der jeweiligen Kultur. Je mehr wir auf ein fest umrissenes Konzept von Literatur verzichten, desto mehr nähert sich die Literaturtheorie bzw. Literaturwissenschaft der Text-, Medien- und Kulturwissenschaft bzw. -theorie. In der kulturellen Praxis kommt Literatur nicht rein vor, sondern in Verbindung mit: - gesprochener Sprache (lyrischer Vortrag, Lesung), - mit Musik (Gesang), - gesprochener Sprache und visueller Körper>sprachekonstruktiv< und erfindend. Das sprachliche eichen ist eine Einheit aus drei Elementen, dem Signifikanten (Schriftzeichen), dem Signifikat (Bedeutung und Inhalt dieses eichens) und der Verbindung der beiden Elemente. Im Fall des sprachlichen eichens ist dies Verhältnis >arbiträrbildliche< eichen etwa im Film oder der Photographie analog (Ähnlichkeit). Demgegenüber gibt es allgemeine Theorien über Kultur und Gesellschaft, die der Literatur einen bestimmten Ort im Ganzen zuweisen und die von der Literaturwissenschaft gerne als Interpretationshilfen benützt werden. Die Psychoanalyse oder der Marxismus – um nur zwei maßgebliche Makrotheorien des 19. und 20. Jahrhunderts zu bemühen - sind z.B. keine Literaturtheorien wie die oben beschriebenen Theorien (Strukturalismus, Semiotik, Poststrukturalismus, Narratologie), aber sie implizieren ein bestimmtes Verständnis von Literatur, da es im literarischen Text stets- auf der manifesten Ebene der Inhalte wie auf jener der formalen Konstruktion - Referenzen (Bezüge) zur Gesellschaft gibt und weil Literatur ein Medium von Kultur darstellt, in dem Selbstbilder und Identitäten erzeugt werden (→ Kulturwissenschaften, Cultural Studies). wischen beiden Typen von Literaturtheorien kann es selbstverständlich zu Kombinationen kommen (Poststrukturalismus kombiniert moderne Linguistik mit Fragestellungen aus der Lacanschen Psychoanalyse und einem heterodoxen Marxismus).
Wolfgang Müller-Funk: Literatur und Literaturtheorie Skript erstellt für die Kremser Denkwerkstatt 2011 im Studium Generale an der Donau-Universität Krems www.donau-uni.ac.at/studium-generale
Eine kursorische Lektüre von Mieke Bals Text u Tode erschrocken In: Mieke Bal, Kulturanalyse, Frankfurt/Main. Suhrkamp 2002, S. 44-71. 1. Reaktionen auf Theorie: 1.1. Was habe ich mit Theorie zu schaffen? (Das meint, dass Theorie womöglich irrelevant für das eigene Tun ist). 1.2. Ich bin gegen Theorie. (Man versteht etwas von Theorie, ist aber gegen Theorie) 1.3. Von Theorie habe ich keine Ahnung. (Man erklärt sich absichtsvoll für inkompetent) 1.4. „Theorie erschreckt mich zu Tode“ (Theorie ist bedrohlich und furchteinflößend, die Vertreter von Theorie sind „ hart gesotten“). Ich füge diesen vier bei Bal erwähnten Gründen für die negative Einschätzung von Theorie noch zwei weitere hinzu, die dieses Unbehagen plastisch machen: 1.5. Theorie ist abstrakt und führt mich von der Konkretheit meiner eigenen subjektiven Lektüre weg (Ich will Bücher und Film aus dem „Bauch“ heraus“ verstehen, der theoretische Umgang mit Literatur >verdirbt< mir diese „authentische“ Lektüre, das Lebenswelt-Argument) 1.6. Theorie führt dazu, dass man Texte überinterpretiert und in sie Dinge hineinliest, die gar nicht drinstehen (das Hypertrophie-Argument). „Das Überraschende an diesen Antworten ist nicht ihre Negativität, sondern die Selbstverständlichkeit, mit der ein allgemeines Verständnis von „Theorie“ vorausgesetzt wird.“ Theorie wird auch als bedrohlich empfunden, weil sie als Gegensatz zur „Empirie“ und zur Praxis“ verstanden wird. Beispiel aus der eigenen theoretischen Praxis (Filmseminar). Bal nimmt Bezug auf Jonathan Culler, wenn sie schreibt, daß Theorie „ die bequemste Bezeichnung“ das „etwas liederliche Wechselspiel interdisziplinärer Perspektiven aus den Bereichen Linguistik, Literaturwissenschaft, Psychoanalyse, Feminismus, Marxismus, Strukturalismus, Dekonstruktivismus, Anthropologie und Soziologie“ bezeichnet. (Bal: 47) 1. Was heute die Grundlage von Literaturwissenschaften bildet, ist mehr als philologische Literaturwissenschaft, sondern ein transdisziplinäres Konglomerat aus verschiedenen Disziplinen und Theorien. 2. Problem der Kohärenz und des usammenhang verschiedener Disziplinen. Verschiedene Positionen: - Anything goes (Methodenpluralismus, Collage: Postmoderne, Cultural Studies) - Suche nach einer stringenten Theorie, die die einzelnen Theoriebausteine in systematischer Absicht miteinander verbindet ( z. B. Bal; Semiotik) 3. Dialogisches Verhältnis zwischen Theorie und Empirie (Interpretation). 4. Frage: Inwiefern lässt sich sagen, dass die zeitgenössische Literaturtheorie selbst transdisziplinär ist? Und warum ist das so? Gerald Graff: „Theorie […] ist das, was zum Ausdruck kommt, sobald etwas, worüber man in der betreffenden Gemeinschaft bis dahin stillschweigend einer Meinung war, umstritten wird und die Angehörigen dieser Gemeinschaft dazu zwingt, Annnahmen zu formulieren und zu verteidigen, die einen bis dahin nicht einmal bewusst zu sein brauchen.“ (zit. nach Bal: 69)
Wolfgang Müller-Funk: Literatur und Literaturtheorie Skript erstellt für die Kremser Denkwerkstatt 2011 im Studium Generale an der Donau-Universität Krems www.donau-uni.ac.at/studium-generale