Kasus und semantische Rollen

  • Titel: Kasus und semantische Rollen
  • Autor: Peter Gallmann
  • Organisation: UNI JENA
  • Seitenzahl: 9

Skript herunterladen (PDF)

Inhalt

  • Prof Dr Peter Gallmann
  • Kasus und semantische Rollen
  • Wozu dient der Kasus
  • Die vier Kasus
  • G Kasus und semantische Rollen
  • Siehe auch oben Beispiel
  • Subjekt Akkusativobjekt gemäß b
  • Subjekt Dativobjekt Akkusativobjekt gemäß c
  • G Kasus und semantische Rollen G Die AcIKonstruktion
  • Subjekt prädikativer Nominativ Akkusativobjekt prädikativer Akkusativ
  • Zusammenfassende Übersicht

Vorschau

Prof. Dr. Peter Gallmann

Jena, Sommer 2011

G

Kasus und semantische Rollen

Duden-Grammatik (2009): Randziffern 1228–1229, 1444–1454

G1

#

Wozu dient der Kasus?

Die Hauptaufgabe der Kasus ist es, Beziehungen innerhalb des Satzes zu verdeutlichen: Wenn ein Verb mehr als eine Ergänzung verlangt, erleichtern die Kasus deren Identifizierung. Siehe dazu das folgende Beispiel: (1) a. b. c. d. [Der Junge] gefällt [dem Mädchen]. [Dem Jungen] gefällt [das Mädchen]. [Das Mädchen] gefällt [dem Jungen]. [Dem Mädchen] gefällt [der Junge].

Bei gefallen steht diejenige Ergänzung, die die wahrnehmende Person ausdrückt, im Dativ. Dank der Kasusformen wird klar, in welchem Satz von den Empfindungen des Mädchens und in welchem von den Empfindungen des Jungen berichtet wird. In Sprachen ohne Kasusmorphologie können die einzelnen Ergänzungen meist nur über die Stellung im Satz identifiziert werden. In Sprachen wie dem Deutschen, die auf dieses Mittel weniger angewiesen sind, kann die Satzgliedstellung zur Anzeige des Informationswerts benutzt werden (Thema vs. Rhema, Fokus vs. Hintergrund; → Textlinguistik). # Der Kasus erleichtert die Interpretation bestimmter Präpositionalphrasen; vgl. auch (10): (2) # a. Der Ballon fliegt [über [der Stadt] ]. (Dativ → Ort) b. Der Ballon fliegt [über [die Stadt] ]. (Akkusativ → Weg, Richtung)

Die Kasusformen zeigen bei Prädikativen und Appositionen oft, auf welche Phrasen sie zu beziehen sind. Man stützt sich dann auf die Regeln für die Übereinstimmung oder Kongruenz im Kasus: (3) a. [Als [erfahrener Kunstkritiker] ] schätze [ich] [ihn] schon lange. b. [Als [erfahrenen Kunstkritiker] ] schätze [ich] [ihn] schon lange.

# Die Kasusformen zeigen bei Artikelwörtern und Adjektiven, zu welchem Substantiv sie gehören – oder auch nicht gehören (KNG-Kongruenz; → G 4). (4) a Der Hund folgte [dem [ [helles Licht] scheuenden] Tier] in die Höhle. b. Otto schätzt [das [ [altem Cognac] eigene] Aroma] von edlem Leder.

Innerhalb der Nominalphrase sind also deren Kern (Nomen, Nominalisierung, Pronomen) sowie Artikelwörter und Adjektive Träger der Kasusmerkmale. Einzelheiten siehe Duden-Grammatik (2009), Randziffern 1517–1520 sowie 1530–1533.

G2

Die vier Kasus

Eine Nominalphrase steht immer in einem bestimmten Kasus. Diese Gesetzmäßigkeit wird in der wissenschaftlichen Grammatik auch als »Kasusfilter« bezeichnet, weil Sätze mit kasuslosen Nominalphrasen als ungrammatisch herausgefiltert werden. (5) Kasusfilter: Jede NP weist ein Kasusmerkmal auf.

G Kasus und semantische Rollen


Das Deutsche kennt vier Kasus, die man nach ihrer »Auffälligkeit« oder »Markiertheit« sortieren kann. Die Auffälligkeit (Markiertheit) betrifft sowohl die Form als auch den Gebrauch. Dabei besteht nur im Idealfall ein 1:1- usammenhang zwischen formaler und funktionaler Auffälligkeit (→ Block D). (6) Nominativ Akkusativ Dativ Genitiv unauffällig (markiert) ↓ ↓ auffällig (markiert)

Der Kasus wird der Nominalphrase »von außen« zugewiesen, hängt also von ihrem Gebrauch im Satz ab. Man kann drei Arten der Kasuszuweisung unterscheiden: – Rektion – Kongruenz – semantische Kasuszuweisung

G3

Kasusrektion

Rektion ist eine Erscheinung der Valenz (→ Block E). Sie liegt vor, wenn ein Wort verlangt, dass eine von ihm abhängige Phrase ein bestimmtes Merkmal aufweist. Wenn es sich um ein Kasusmerkmal handelt, spricht man von Kasusrektion. Man sagt dann auch, dass das betreffende Wort einen Kasus regiert. Im Deutschen tritt Kasusrektion bei Verben, Adjektiven, Nomen und Präpositionen auf. Andere Arten von Rektion (Auswahl): Festlegung einer bestimmter Präposition, zum Beispiel bei Präpositionalobjekten, → (7); Wahl einer bestimmten infiniten Verbform (Fachbezeichnungen: Infinitrektion, Statusrektion), → (8). (7) (8) a. Wir zählen [auf deine Unterstützung]. (zählen → auf) b. Wir rechnen [mit deiner Unterstützung]. (rechnen → mit) a. Julia konnte das Sprichwort richtig zitieren. (können → reiner Infinitiv) b. Julia vermochte das Sprichwort richtig zu zitieren. (vermögen → Inf. mit zu)

Wenn unspezifisch von Rektion gesprochen wird, ist meist Kasusrektion gemeint. G 3.1 Kasusrektion bei Präpositionen

Präpositionen können den Dativ, den Akkusativ oder den Genitiv regieren. Der Dativ kann hier als der Normalkasus angesehen werden. Man muss sich also nur die Präpositionen merken, die den Genitiv oder den Akkusativ verlangen. (Umgangssprachlich wird der Genitiv bei Präpositionen zusehends durch den »Normalkasus« ersetzt, also durch den Dativ.) (9) a. wegen [des schlechten Wetters] → wegen [dem schlechten Wetter] b. mit [dem Bleistift] c. für [ihren Freund] a. Die Taube saß auf [dem Dach]. (Ort → Dativ; Normalfall) b. Die Taube flog auf [das Dach]. (Richtung → Akk.; besonders zu merken)

Wechselpräpositionen (in, an, auf, über, unter, vor, hinter, neben, zwischen): (10)

Siehe auch oben, Beispiel (2).

G Kasus und semantische Rollen G 3.2 Kasusrektion bei Verben


Kasusrektion betrifft bei Verben die nominalen Aktanten, das heißt diejenigen Aktanten, die die Form einer Nominalphrase haben (→ Block E, Abschnitte 8 und 9.1). Es gibt drei Grundmuster: (11) a. Verb → Nominativ [Subjekt] b. Verb → Nominativ + Akkusativ [Subjekt] + [Akkusativobjekt] c. Verb → Nominativ + Dativ + Akk. [Subjekt] + [Dativobjekt] + [Akk’objekt]

Diese Muster gelten so nur für finite Verben im Aktiv; → G 3.2.1 (Subjekt) und → G 3.2.2 (Kasuswechsel). Sie hängen mit der semantischen Valenz zusammen, das heißt mit der Vergabe semantischer Rollen (→ Block E, Abschnitt 9.1). Und zwar kommt bei (11 b/c) eine relative semantische Regel zum ug: (12) a. Der Aktant mit der aktivsten Rolle (zum Beispiel Agens = handelnde Person, Auslöser eines Vorgangs, Auslöser einer Wahrnehmung, aber auch Eigenschaftsträger) bekommt den unauffälligsten Kasus, also den Nominativ (= Subjekt). b. Der am wenigsten aktive Aktant (zum Beispiel Patiens = betroffene Person oder Sache, betroffener Sachverhalt) bekommt den zweitunauffälligsten Kasus, also den Akkusativ (= Akkusativobjekt). c. Der dritte Aktant (zum Beispiel wahrnehmende Person, Nutznießer, Empfänger, Besitzer) bekommt, sofern vorhanden, den Dativ (= Dativobjekt).

Beispiele: – Nur [Subjekt], unabhängig von der Semantik des Aktanten, gemäß (11 a): (13) – a. [Nom. Der Junge] (= handelnde Person) lachte. b. [Nom. Die iegel] (= betroffene Sache) fielen auf die Straße. a. [Nom. Der Kaufhausdetektiv] (= handelnde Person) beobachtet [Akk. die Kundin] (= Patiens, betroffene Person) / [Akk. den Eingang] (= betroffene Sache) / [Akk. den Diebstahl] (= betroffener Sachverhalt). b. [Nom. Der Sturm] (= Auslöser des Vorgangs) blies [Akk. die iegel] (= betroffene Sache) von den Dächern. c. [Nom. Der Straßenlärm] (= Auslöser einer Wahrnehmung) störte [Akk. mich] (= wahrnehmende Person). a. [Nom. Otto] (= handelnde Person) kaufte [Dat. seiner Freundin] (= Nutznießerin) [Akk. einen Blumenstrauß] (= betroffene Sache). b. [Nom. Der Banker] (= handelnde Person) empfahl [Dat. seinem Kunden] (= Nutznießer oder Geschädigter – das wird die ukunft weisen …) [Akk. den Kauf von Obligationen] (= betroffene Sache).

[Subjekt] + [Akkusativobjekt], gemäß (11 b): (14)

[Subjekt] + [Dativobjekt] + [Akkusativobjekt], gemäß (11 c): (15)

Präpositionalphrasen zählen für diese Kasusregeln nicht (→ G 3.1). Beim folgenden Beispiel ergibt sich daher nach Regel (12 b) das Muster [Subjekt] + [Akkusativobjekt] + [Präpositionalphrase]: (16) [Nom. Die Erzählung] (= Auslöser einer Wahrnehmung) erinnerte [Akk. die uhörer] (= wahrnehmende Personen) [PP an ihre Jugend].