
- Titel: Die Begründung des Notwehrrechts
- Autor: Hans Kudlich
- Organisation: home
- Seitenzahl: 3
Inhalt
- 2. Die Notwehr gem. § 32 StGB
- a) Die Begründung des Notwehrrechts
- b) Die Voraussetzungen der Notwehr
- Prof Dr Hans Kudlich
- Vorlesung Strafrecht I AT I WS
- grds ist erforderliche Abwehr auch geboten les Abwägungsgebot
- muss Abwehr eines Angriffs dienen
- Schutz und Trutzwehr zulässig
Vorschau
b) Die Voraussetzungen der Notwehr 2. Die Notwehr gem. § 32 StGB a) Die Begründung des Notwehrrechts
„Schneidiges“ Recht, das nach h.M. auf zwei Säulen ruht (dualistische Notwehrbegründung der h.M.):
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Überblick:
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Notwehrlage: gegenwärtiger, rechtswidriger Angriff Notwehrhandlung: erforderliche, gebotene Abwehrhandlung Angriff:
Notwehrlage:
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Selbstschutzgedanke, d.h. Vorstellung, dass „Urrecht” auf Selbstverteidigung trotz staatlichen Gewaltmonopols in speziellen Fallgestaltungen erhalten bleibt Rechtsbewährungsprinzip, d.h. Grundsatz, dass Recht dem Unrecht nicht zu weichen braucht
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Definition: jede durch menschliches Verhalten drohende Verletzung rechtlich geschützter Interessen Angriff muss nach h.M. tatsächlich vorliegen, d.h. Beurteilung erfolgt objektiv nur menschliche Angriffe erfasst, nicht solche durch Tiere1
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Klausurhinweis: Man kann gegen das dualistische Notwehrmodell sicher kritisch einwenden, dass es letztlich nicht aus bestimmten Prämissen abgeleitet wird, sondern mal die eine, mal die andere Grundlage mehr oder weniger dann heranzieht, wenn diese gerade gebraucht wird. Das Verhältnis zwischen beiden Ansätzen bleibt zumeist im Dunkeln. Das ändert aber nichts daran, dass man das Schlagwort von der dualistischen Notwehrbegründung kennen sollte und in einer Klausur (in der das Strafrecht nicht jedes Mal neu erfunden, sondern auf der Grundlage konsentierter Vorstellungen angewandt werden soll!) ruhig selektiv auf jeweils auf einen der beiden Gedanken zurückgreifen kann, wenn er in die Argumentation passt.
nur willkürliches Handeln (d.h. grob: eine Handlung im strafrechtlichen Sinne) Gegenbeispiel.: Fällt jemand von einem Baugerüst und droht einen Passanten zu „erschlagen“, so ist ein den Fallenden verletzendes Aufhalten oder Ablenken des Sturzes nur nach den Grundsätzen des § 34 StGB, nicht nach dem ohne jede Abwägung erfolgenden Notwehrrecht zulässig. kein Angriff bei sozialüblichem oder ganz bagatellhaftem Verhalten (z.B. Vordrängeln am Skilift) Möglicher Gegenstand eines notwehrfähigen Angriffs: alle Individualrechtsgüter des Angegriffenen oder eines Dritten
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Alternative Begründung (m.E. kein echter Gegensatz): Verantwortung bzw. „ uständigkeit“ des Angreifers für den „Konflikt“ führt dazu, dass dieser auch Einbußen an seinen Rechtsgütern hinnehmen muss.
Bei Angriffen von Tieren kommt nur ein rechtfertigender Notstand nach § 228 BGB in Betracht. Allerdings kann auch Notwehr nach § 32 StGB geübt werden, wenn entweder das Tier als „Angriffsmittel“ genutzt wird oder zumindest ein vorwerfbares Unterlassen des Tierhalters vorliegt. Allerdings richtet sich dann genau formuliert die Notwehr nicht „gegen das Tier“, sondern gegen den menschlichen Angreifer und erfolgt eben dadurch, dass eine ihm gehörende Sache beschädigt wird.
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Prof. Dr. Hans Kudlich
Vorlesung Strafrecht I (AT I), WS 2004/2005
S. 38
(sog. Nothilfe); dagegen Verteidigung von Allgemeininteressen grundsätzlich Aufgabe der staatlichen Organe
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Gegenwärtigkeit
nur gegen den Angreifer bzw. seine Rechtsgüter zulässig (aber z.T. Ausnahme angenommen, wenn sich Angreifer fremder Sachen bedient
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unmittelbar bevorstehend (ohne weitere wischenschritte); auch antizipierte Selbstschutzmaßnahmen (z.B. Selbstschussanlagen) im Rahmen der Erforderlichkeit möglich gerade ablaufend noch Fortdauern (besonders bei Dauerdelikten wichtig)
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Erforderlichkeit
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zur Abwehr geeignet (allerdings eine weite „Einschätzungsprärogative“, auch etwa bei Verteidigung gegen Übermacht) mildestes Mittel zur sofortiger und sicherer Abwendung des Angriffs beachte aber: keine „Güterproportionalität” vorausgesetzt Beurteilung der Erforderlichkeit nach objektivem Urteil ex ante erforderliche Abwehrhandlungen decken auch ungewollte Auswirkungen (Gedanke der erlaubten Risikoschaffung).
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Rechtswidrigkeit
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läuft Bewertungsnormen des Rechts zuwiderläuft kein Verstoß gegen Strafgesetze erforderlich nicht rechtswidrig, wenn seinerseits durch Rechtfertigungsgründe gedeckt str., ob Handlungs- oder Erfolgsunrecht entscheidend nach h.M. muss Angriff nicht schuldhaft sein
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Klausurhinweis: Werden die Grenzen der Erforderlichkeit überschritten, ist zu prüfen, ob ein entschuldigender Notwehrexzess nach § 33 StGB in Betracht kommt.
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Klausurhinweis: Fehlt es an den Voraussetzungen einer Notwehrlage (insbesondere bereits an einem Angriff), ist als Folgeproblem an den sog. Erlaubnistatbestandsirrtum zu denken (dazu näher später in Vorlesung und Skript), wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Täter irrtümlich die tatsächlichen Voraussetzungen einer solchen Lage angenommen hat.
Gebotenheit
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grds. ist erforderliche Abwehr auch geboten ( les Abwägungsgebot)
kein generel-
Notwehrhandlung
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muss Abwehr eines Angriffs dienen
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Schutz- und Trutzwehr zulässig
„Gebotenheit“ nach h.M. als Anknüpfungspunkt „sozialethischer Einschränkungen des Notwehrrechts“ bei völlig geringfügigen Eingriffen an der Grenze zum Angriff extremem Missverhältnis von angegriffenem und verletztem Gut („Kirschendiebfälle“) Angriffen von Kindern oder anderen schuldlos Handelnden
Prof. Dr. Hans Kudlich
Vorlesung Strafrecht I (AT I), WS 2004/2005
S. 39
Angriffe von nahestehenden Personen Provokationsfällen – Absichtsprovokation schließt Notwehrrecht aus (h.M.) – bei sonstiger schuldhafter Provokation dagegen nur (wie bei anderen Einschränkungsfällen) Einschränkung i.S. einer „Drei-Stufen-Theorie“ (erst ausweichen, dann Schutzwehr, zuletzt Trutzwehr Exkurs: Die sozialethischen Einschränkungen erscheinen zwar teilweise mehr oder weniger evident „billig“, werfen aber in ihrer Begründung Probleme auf: (1) Formell sind sie mit Blick auf Art. 103 II GG zumindest nicht unproblematisch, da die Anknüpfung an das Merkmal der Gebotenheit an sich sehr vage ist. (2) Materiell wäre zu legitimieren, warum man das in seiner grundsätzlichen Geltung nie in Frage gestellte Notwehrrecht überhaupt einschränken möchte, wozu etwa auf eine Abschwächung der Notwehrbegründungen des Rechtsbewährungsprinzips, des Schutzprinzips sowie des Verantwortlichkeits- bzw. uständigkeitsprinzip hingewiesen werden kann.