Buchhandelsgeschichte in kulturhistorischer Absicht

  • Titel: Buchhandelsgeschichte in kulturhistorischer Absicht
  • Autor: Monika Estermann
  • Organisation: UNI MUENCHEN
  • Seitenzahl: 33

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Inhalt

  • Probleme der Geschichtsschreibung des Buchhandels
  • IASLonline Diskussionsforum Probleme der Geschichtsschreibung des Buchhandels
  • Gliederung Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik Bugra
  • Monika Estermann Buchhandelsgeschichte in kulturhistorischer Absicht Blatt

Vorschau

IASLonline Diskussionsforum Probleme der Geschichtsschreibung des Buchhandels

MONIKA ESTERMANN

Buchhandelsgeschichte in kulturhistorischer Absicht* Johann Goldfriedrich und Karl Lamprecht

Gliederung 1 Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (Bugra) | 1.1

Goldfriedrich auf der Bugra | 1.2 Gliederung und Struktur der Ausstellung | 1.3 Weitere Gliederungselemente | 2 Johann Goldfriedrich und sein Vorgänger Friedrich Kapp | 3 Karl Lamprechts Methode | 4 Goldfriedrichs »Denkschrift« von 1903 | 5 Die Anwendung der Methode | 5.1 »Geschichte des deutschen Buchhandels«, Band zwei, 1648 – 1740 | 5.1.1 »Der Büchermarkt« | 5.1.2 Der Kommunikationsanstieg um 1700 | 6 »Geschichte des deutschen Buchhandels« Band drei, 1740 – 1804 | 6.1 »Der Büchermarkt« | 7 Die sozialpsychische Skizze von 1909 | 8 »Geschichte des deutschen Buchhandels«, Band vier, 1805-1889 | 9 urück zur Bugra | 10 »Wir wollen weniger erhoben und fleißiger gelesen sein«

1 Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (Bugra) 1.1 Goldfriedrich auf der Bugra Von Mai bis Oktober 1914 fand in Leipzig unter dem Protektorat des Königs von Sachsen die große Internationale Ausstellung für Buchgewerbe und Graphik (Bugra) statt. u den Veranstaltern gehörte neben dem Leipziger Buchgewerbeverein auch der Börsenverein der Deutschen Buchhändler. Mehr als 30 Länder beteiligten sich an dieser Leistungsschau. Auf einem 400.000 m2 großen Gelände konnten die insgesamt zwei Millionen Besucher die neuesten polygraphischen Techniken, die Fortschritte in der Papierherstellung und Bindetechnik in einzelnen Ländern bewundern. Hier wurde alles gezeigt, was mit dem Buch zu tun hatte. An der »Straße der Nationen« befanden sich die Ausstellungsgebäude Frankreichs, Englands, Österreichs und Russlands. Für die Besucher gab es außerdem ein umfangreiches kulturelles Rahmenprogramm mit Vorträgen, Festen, Sonderausstellungen und einem eigenen Vergnügungspark. Es entstand eine eigenartige »Symbiose von kommerzieller und kultureller Repräsentation«.1 Ludwig Volkmann, Inhaber des Musikalienverlags Breitkopf & Härtel, Präsident des Buch* Überarbeitete Fassung des Beitrags in: Buchkulturen. Festschrift für Reinhard Wittmann. Hrsg. von Monika Estermann, Ernst Fischer und Ute Schneider. Wiesbaden: Harrassowitz 2005. 1 Gangolf Hübinger: Verleger als Kulturberuf. Massenkommunikation im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert. In: Buchhandelsgeschichte, 2001/1, S. B 26.

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gewerbevereins und Vorsitzender des Ausstellungsdirektoriums, stellte die Bugra in die Tradition der großen Weltausstellungen des 19. Jahrhunderts. Eine »Halle der Kultur« informierte über die historische Entwicklung des Buches, von der Entstehung der Schrift bis zu den neuesten Tendenzen der Buchgestaltung. Mit den Vorbereitungen der Ausstellungen in dieser Halle, die ein eigenes Gebäude füllte, war seit 1912 eine kulturgeschichtliche Abteilung unter Leitung des Leipziger Ordinarius für Geschichte und Leiter des dortigen Instituts für Kultur- und Universalgeschichte, Karl Lamprecht (1856 – 1915), beschäftigt. Wenige Wochen vor Ausstellungsbeginn hatte die Abteilung den Jenaischen Verleger Eugen Diederichs aufgefordert, sein Wirken in einem eigenen Raum zu präsentieren: »Die Kulturgeschichtliche Abeilung verfolgt, wie Ihnen bekannt sein dürfte, den weck die großen Linien der Entwicklung des Schrift- u. Druckwesens aller eiten und Völker an charakteristischen Beispielen zu veranschaulichen, indem sie sich zugleich bemüht, jede Entwicklungsphase als ein uständliches einheitlich in einen Raum zu fassen. … Umsomehr verlangt die Abteilung einen Abschluss, in dem sich die Vielheit zur Einheit zusammenschliesst. Diesen Abschluß glaubt sie gefunden zu haben in der Darstellung des ›Kulturverlegers‹, d.h. eines Wirkens, wie es Ihrem geschätzten Verlage seit den Tagen seiner Gründung in wachsendem Masse eignet.«2 Einer derartigen Aufforderung kam Diederichs, dem stets an öffentlicher Wirkung gelegen war, nur zu gerne nach. Er ließ von dem Architekten Oskar Rohde die bekannte pseudosakrale Buchkapelle für die Präsentation seines Verlagsprogramms aufbauen, geschmückt mit den Stifterfiguren aus dem Naumburger Dom und einem umlaufenden Schriftband mit dem itat von Paul de Lagarde, zugleich dem Verlagsmotto: »Gäbe es wenigstens Verschworene unter uns, einen heimlich offenen Bund, der für das große Morgen sänne und schaffte«.3 ur Kulturgeschichtlichen Abteilung, die mit diesem Vorschlag, einen einzelnen Verlag derartig zu bevorzugen, zunächst auf den Widerstand Volkmanns gestoßen war, der aber aus eitgründen nachgeben musste, gehörte auch Johann Goldfriedrich (1870 – 1945), zuständig für die Abteilung VII: Entwicklung der modernen Kultur und Technik. Er war seit 1912 hauptamtlich als Leiter des Archivs und der Bibliothek des Börsenvereins tätig.4 1913 hatte er den letzten Band der Geschichte des deutschen Buchhandels abgeschlossen, deren ersten Band Friedrich Kapp (1824 – 1884) begonnen hatte, der jedoch den Abschluß nicht mehr erlebte. Der Band war 1886 posthum erschienen. Die Bände zwei bis vier dagegen konnte Goldfriedrich in der relativ kurzen eit von 1908 bis 1913 vorlegen. Diese Geschichte reichte von Gutenberg eiten bis ans Ende des 19. Jahrhunderts mit einem Ausblick in die Gegenwart. Goldfriedrich gehörte zum unmittelbaren Umfeld Lamprechts, da er sowohl als Dozent an dessen Institut für Kultur- und


Brief vom 20. März 1914, unterzeichnet von Karl Lamprecht. itiert nach Ulf Diederichs: Was heißt und zu welchem Ende wird man Kulturverleger? Ein weiterer Beitrag zum 100. Geburtstag des Eugen Diederichs Verlags. In: Buchhandelsgeschichte 1996/3, S. B 98. 3 Vgl. dazu Gangolf Hübinger: Verlagsgeschichte als Kulturgeschichte. In: Versammlungsort moderner Geister. Der Eugen Diederichs Verlag – Aufbruch ins Jahrhundert der Extreme. München: Diederichs 1996, S. 14f. 4 Vgl. dazu: Jürgen Hespe, Hermann Staub: »…hervorragende Gelehrte des In- und Auslandes bei ihren Studien und Forschungen zu unterstützen« – Bibliotheken und Archive des Börsenvereins und die Buchwissenschaft. In: Die Struktur medialer Revolutionen. Festschrift für Georg Jäger. Hrsg. von Sven Hanuschek usw. (Münchener Studien zur literarischen Kultur in Deutschland, Bd. 34) Frankfurt a.M.: Lang 2000 S. 240-251.

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Universalgeschichte tätig war und als auch dessen Nichte geheiratet hatte.5 Diederichs Buchkapelle jedenfalls machte Furore, erntete Bewunderung und auch Spott, der Begriff des »Kulturverlegers« dagegen machte Karriere. Bei der Bugra war Goldfriedrich aber noch mit einem anderen Projekt vertreten. Der Börsenverein präsentierte in seinen eigenen Räumen eine Sonderausstellung mit Dokumenten zur Geschichte des Buchhandels aus den Beständen seiner Bibliothek. Der Organisator war Johann Goldfriedrich, dessen maschinenschriftliches Exposé dazu sich noch heute im Besitz des Deutschen Buch- und Schriftmuseums in Leipzig befindet: Katalog der Ausstellung des Börsenvereins auf der Bugra.6 Bei dem Typoskript handelt es sich um einen Durchschlag. Es umfasst 53 einseitig beschriebene Blätter in einem größeren DIN A 4 Format. Der Text ist zweizeilig in normaler und kursiver Schreibmaschinenschrift offensichtlich nach Diktat geschrieben, denn er enthält viele Tippfehler, etliche handschriftliche Korrekturen, besonders bei Personennamen, lateinischen Titeln oder Fachbegriffen. Am Rande sind nachträglich mit Bleistift die Signaturen der Titel eingetragen. Das Exposé vermittelt eine klare Vorstellung der Qualität und Menge der gezeigten Objekte. Sie wurden in fünf großen Räumen auf 41 Tischen, in 41 Schaukästen, 40 Wandrahmen und mehreren Eckschränken präsentiert. Es handelte sich um eine reine Papierausstellung, die außer einigen Portraits, ohne die auch heute so beliebten Hilfsmittel der Visualisierung auskam. Obwohl keine bildlichen eugnisse der Ausstellung erhalten sind, ist anzunehmen, dass ihre Aufmachung bescheiden und sachlich und für ein Fachpublikum zugeschnitten war, wofür auch der Ausstellungsort außerhalb des Bugra-Geländes spricht. Es wurden nur Originale gezeigt, keine Faksimiles, eine Tatsache, die die Größe und Bedeutung der damaligen Bestände der Börsenvereinsbibliothek verdeutlicht. Ihren Ursprung hatte die Bibliothek in einem Aufruf des Börsenvereinsvorstands, der ein Jahr nach der vierten Säkularfeier der Erfindung des Buchdrucks 1840, dazu aufgefordert hatte, alle zu diesen Anlaß erschienenen Schriften zu sammeln. Wenig später wurden die Verlage gebeten, unentgeltlich ihre den Buchhandel betreffenden Publikationen der Bibliothek zur Verfügung zu stellen. Die Bibliothek wuchs unter ihren verschiedenen Leitern wie Albrecht Kirchhoff, F. Hermann Meyer und den renommierten Inkunabelforscher Konrad Burger. Goldfriedrich konnte für die Ausstellung aus dem reichen Fundus schöpfen, der Ausdruck des starken Selbstbewusstseins der Buchhändler und ihrer kulturellen wie nationalen Bedeutung war. 1.2 Gliederung und Struktur der Ausstellung Am Beginn der Schau präsentierte sich der Hausherr, der Börsenverein als Repräsentant des Buchhandels, mit einigen eugnissen zu seiner Geschichte und seiner starken Stellung in der Gegenwart. Neben einem Modell der Deutschen Bücherei, die ihre Existenz den bis weit ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Initiativen der Buchhändler verdankte und kurz zuvor eingeweiht worden war, wurden die 80 Jahrgänge des Börsenblatts


u Goldfriedrich, vgl. Hermann Staub: Aus dem Historischen Archiv des Börsenvereins (49). Konvolut Johann Goldfriedrich. Ein Nachtrag zum Nachlaß von Dr. Annemarie Meiner. In: Buchhandelsgeschichte 1997/1, S. B 38-42. 6 Deutsches Buch- und Schriftmuseum, Leipzig, Sign. Bö-Archiv 70/96. Ich danke besonders Herrn Lothar Poethe für die Möglichkeit der Publikation.